Masse mit Mehrwert? Die Zukunft der Kantine
Kantinen haben sich in den letzten Jahren zu weit mehr als bloßen Verpflegungsstätten entwickelt. Sie sind heute zentrale Begegnungsorte mit enormem Einfluss: Täglich versorgen sie Millionen von Menschen mit Essen. Dadurch haben sie großes Potenzial, einen verantwortungsbewussten Konsum, kreative Speisepläne und ressourcenschonende Konzepte zu fördern.
Kantinen haben sich in den letzten Jahren zu weit mehr als bloßen Verpflegungsstätten entwickelt. Sie sind heute zentrale Begegnungsorte mit enormem Einfluss: Täglich versorgen sie Millionen von Menschen mit Essen. Dadurch haben sie großes Potenzial, einen verantwortungsbewussten Konsum, kreative Speisepläne und ressourcenschonende Konzepte zu fördern. Doch nach wie vor sind die Herausforderungen zur Umsetzung nachhaltiger Kantinenkonzepte groß. Die nachfolgenden Beispiele von Mercedes-Benz, Community Kitchen & Co. zeigen, wie besseres Essen in der Außer-Haus-Verpflegung (AHV) möglich ist – und wie Kantinen zu Treibern einer neuen Ernährungskultur werden können.
90 % wünschen sich gesunde und ausgewogene Ernährung in der Kantine
Jeder Fünfte in Deutschland isst mittags in einer Kantine. Doch klassisches Kantinenessen, wie die Currywurst, Spaghetti Bolognese oder Pizza, hat einen schlechten Ruf: Es muss schnell gehen, lecker und vor allem günstig sein. Inzwischen gibt es Ansätze, die zeigen, dass es auch anders geht. Denn die Ansprüche an die Kantine sind stark gewachsen – und sie steigen weiter an. Dies bestätigt auch eine Forsa-Umfrage: Demnach legen 90 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher beim Kantinenbesuch Wert auf eine gesunde und vollwertige Verpflegung.
Bundesregierung fordert gesunde Ernährung in der AHV und will Lebensmittelabfälle in Kantinen reduzieren
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) unterstützt dieses Anliegen und hat zu Beginn des Jahres 2024 die Ernährungsstrategie „Gutes Essen für Deutschland“ entwickelt. Sie soll Kantinen und Mensen dazu bringen, künftig gesünderes und ökologischeres Essen und Getränke anzubieten. Es sollen mehr pflanzliche Produkte und gleichzeitig weniger fleisch-, fett- und zuckerhaltige Lebensmittel in den Einrichtungen verwendet sowie Lebensmittelabfälle reduziert werden. In diesem Zuge wurde die Bio-Außer-Haus-Verpflegung-Verordnung (Bio-AHVV) eingeführt, die klare Richtlinien für den Einsatz von Bio-Produkten in Kantinen, Mensen und anderen Gemeinschaftsverpflegungseinrichtungen festlegt. Sie beinhaltet ein gestuftes Zertifizierungssystem mit den Siegeln Bronze, Silber und Gold, die den Bio-Anteil in den angebotenen Speisen transparent machen: Bronze steht für mindestens 20 % Bio, Silber für 50 % und Gold für 90 %.
Die folgenden Beispiele verdeutlichen, dass eine hochwertigere und nachhaltigere Ernährung in der Außer-Haus-Verpflegung bereits heute realisierbar ist – neben Bio stehen Food Waste-Vermeidung, Planetary Health und Kreativität auf dem Speiseplan.
Bio und Planetary Health Diet in den Mercedes-Benz Kantinen
Bei Mercedes-Benz steht das Thema gesunde und nachhaltige Ernährung zunehmend im Fokus der Betriebskantinen. Seit 2024 richtet die Mercedes-Benz Gastronomie GmbH ihr Speisenangebot sukzessive an den wissenschaftlichen Leitlinien der „Planetary Health Diet“ (PHD) aus – das Konzept, um Ernährung, Gesundheit und Umweltschutz miteinander zu verbinden – und bringt zunehmend Bio-Produkte auf die Speisekarte. Ein Highlight im Dezember 2024: Vier Wochen lang gab es in teilnehmenden Mercedes-Benz Kantinen einmal pro Woche ein Gericht der TressBrüder – 100 % Bio und auf Wunsch mit Fleisch als Beilage.
TressBrüder: Qualität der Kantine als Aushängeschild
Daniel, Simon, Christian und Dominik Tress, die TressBrüder, sind Vorreiter für Bio in der Außer-Haus-Verpflegung. Christian Tress sieht ein Umdenken in der Branche: „Viele Unternehmen erkennen langsam, dass eine hochwertige Kantine den Unterschied macht, ob man Mitarbeitende gewinnt oder nicht. Bio kann hier ein entscheidender Faktor sein.“
Die von der Politik eingeführten Siegel für die Außer-Haus-Verpflegung in Gold, Silber und Bronze bewertet Christian Tress als wichtigen Impuls, bedauert aber, dass das Gold-Siegel bereits bei 90 % Bio vergeben wird: „Wir stehen seit jeher für 100 % Bio.“ Besonders entscheidend sei, Unternehmen mit klaren Schritten bei der Transformation zu unterstützen. „Der Einstieg sollte nachhaltig erfolgen, idealerweise mit lokalen Lieferketten“, rät Simon Tress. Der USP der TressBrüder? Ein flexibles Kochbox-Konzept. „Wir liefern von fertigen Gerichten über einzelne Komponenten bis zu vorportionierten Zutaten alles, was die jeweilige Kantine benötigt“, erklärt Simon. Dabei steht pflanzenbasierte Ernährung im Vordergrund. Aber: „Fleisch ist bei uns die Beilage – das ermöglicht es, Bio und vegetarisch auszuprobieren, ohne irgendjemanden zu etwas zu zwingen!“
Der Blick in die Zukunft ist optimistisch: „Bio wird sich in der Außer-Haus-Verpflegung etablieren, nicht nur, weil es besser für den Planeten ist, sondern weil es besser schmeckt“, fasst Simon zusammen.
Bunte Kantine: Vielfalt und Wahlfreiheit für alle Mercedes-Benz Mitarbeitenden
Moritz Mack, Geschäftsführer der Mercedes-Benz Gastronomie GmbH, erläutert die Gründe für die neue gastronomische Ausrichtung bei Mercedes-Benz: „Im Zuge unserer PHD-Ausrichtung möchten wir den Gästen vermehrt Gerichte mit Bio-Zutaten anbieten. Die Zertifizierung unserer Kantinen nach der Bio-Außer-Haus-Verpflegung-Verordnung im April 2024 war dafür ein wichtiger Meilenstein. Im November 2024 folgte die Auszeichnung der Kantinen im Werk Untertürkheim mit dem Bio-AHV-Logo in Bronze.“ Mercedes-Benz geht systematisch vor, dabei setzt Mack auf eine klare Strategie: „Wir bieten seit 2021 täglich ein pflanzenbasiertes Hauptgericht an und möchten den Anteil veganer und vegetarischer Gerichte weiter erhöhen – ohne Fleisch und Fisch zu verbannen. Es geht um Vielfalt und Wahlfreiheit für alle Mitarbeitenden.“ Wie kommt das Angebot an? Mack zeigt sich zufrieden: „Viele Gäste befürworten unser Vorhaben, mehr Bio-Komponenten in den Speiseplan zu integrieren. Unser Ziel ist es, Schritt für Schritt den Anteil bio-zertifizierter Lebensmittel zu erhöhen. Gleichzeitig möchten wir sicherstellen, dass wir jedem Geschmack gerecht werden.
Ansatz gegen Lebensmittelverschwendung: Community Kitchen
Einen anderen nachhaltigen Ansatz für die Gemeinschaftsgastronomie hat die Münchner Community Kitchen mit dem Verarbeiten von Lebensmittelresten in Schulkantinen. Das Unternehmen arbeitet mit beeindruckenden Mengen: „Wir retten wöchentlich über 20 Tonnen Lebensmittel. Diese logistische Meisterleistung macht eine klare Trennung zwischen Bio- und konventionellen Lebensmitteln schwierig“, betont CEO und Gründerin der Community Kitchen, Günes Seyfarth. Das Team konzentriert sich daher auf das Wesentliche: Ressourcen retten und sinnvoll nutzen. Trotz der Herausforderungen liegt der Bio-Anteil der Küche bei über 40 %.
Kreativität als Schlüssel: Lebensmittelreste sinnvoll nutzen
Der vermeintliche Nachteil großer Lebensmittelmengen wird in der Community Kitchen zur Chance: „Wir reagieren im Team spontan und kreativ. Mit der Expertise internationaler Küchenkräfte wird das volle Potenzial der geretteten Lebensmittel ausgeschöpft. Unterschiedliche Kulturen bringen praktische Ideen ein, die sonst verloren gingen“, beschreibt Seyfarth. Der Ansatz: Den Teller so gestalten, dass er den Gästen verschiedene Komponenten bietet – knusprig, soßig, moussig und stückig. So bleibt die Küche flexibel und überrascht die Gäste mit abwechslungsreichen Gerichten.
Partizipative Projekte mit der jungen Generation
Besonders stark engagiert sich die Community Kitchen für die junge Generation. In Kitas und Schulen lernen Kinder durch gute Gemeinschaftsverpflegung, Lebensmittel bewusst zu erleben. Sie erfahren den Wert von Ressourcen, Handwerk und Selbstwirksamkeit – Qualitäten, die in einer Welt von Fastfood und Convenience-Trends immer seltener werden. „Ein aktuelles Projekt ist das ‘Handbuch für partizipatives Kochen in Schulkantinen’, das bald veröffentlicht wird. Es zeigt, wie Schüler*innen aktiv in die Arbeit der Kantine eingebunden werden können. Ein solcher Ansatz fördert nicht nur gesundes Essverhalten, sondern stärkt auch das Bewusstsein für Lebensmittel und Ernährung“, so die Lebensmittelretterin.
Doch wie steht die Außer-Haus-Verpflegung in zehn Jahren da? Für Seyfarth ist die Antwort klar: „Ohne politische Vision droht die Außer-Haus-Verpflegung auf dem aktuellen Stand zu stagnieren – günstig, Hauptsache satt und bequem. Eine echte Transformation erfordert faire Preise für Bauern und Küchen, Räume, die zum Verweilen und Genießen einladen, und ein neues Verständnis von Gemeinschaft beim Essen“.
Bio in der Hipp-Kantine: Erfahrungen und Perspektiven
Ein Vorreiter in Sachen Bio, auch in der Außer-Haus-Verpflegung, ist das Unternehmen Hipp. „Unsere Betriebsgastronomie in Pfaffenhofen ist seit 2003 bio-zertifiziert“, berichtet Stefan Hipp, Geschäftsführender Gesellschafter der Hipp Gruppe. Die Umstellung sei naheliegend gewesen, jedoch habe der Austausch mit den Mitarbeitenden eine zentrale Rolle gespielt, um Akzeptanz für die Bio-Versionen von klassischen Produkten wie Leberkäse oder Brezen zu schaffen. Auf der BIOFACH 2024 wurde der Betrieb mit dem AHV-Gold-Siegel ausgezeichnet. „Das Verfahren bringt uns nicht nur Transparenz, sondern erleichtert den Arbeitsalltag durch weniger Bürokratie für den EU-Bio-Standard“, so Hipp. Die Kriterien seien problemlos erfüllt worden, da Bio ohnehin fester Bestandteil der Philosophie sei. Hipp rät Unternehmen, schrittweise vorzugehen und zunächst gut verfügbare Produktgruppen wie Obst, Gemüse oder Trockenware auf Bio umzustellen. „Das schafft Vertrauen und gewährleistet regionale Verfügbarkeit.“ Wichtig sei zudem, Mitarbeitende über die positiven Auswirkungen von Bio zu informieren – vom Klimaschutz bis zur Artenvielfalt.
Für die Zukunft sieht Hipp die Außer-Haus-Verpflegung als Schlüssel zur Ernährungswende. Mit ressourcenschonenden Maßnahmen wie kleinen Chargen, um Lebensmittelreste so gering wie möglich zu halten, Weiterverwendung von übriggebliebenen Gerichten am Folgetag und einer Green-Waste-Anlage, die aus Küchenabfällen grüne Energie gewinnt, zeigt Hipp, wie ganzheitlich Bio gedacht werden kann. „Die Gemeinschaftsverpflegung hat ein riesiges Potenzial, insbesondere bei jüngeren Generationen. Bio wird in zehn Jahren ein selbstverständlicher Standard sein.“
Die Kantine als Treiber für die Ernährungswende
Fest steht schon jetzt: die Zukunft der Außer-Haus-Verpflegung liegt in einem nachhaltigen, kreativen und verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln. Unternehmen wie Hipp, Mercedes-Benz, die TressBrüder und die Community Kitchen zeigen, wie innovative Konzepte Bio, Planetary Health und Ressourcenschonung in Kantinen integrieren können. Erfolgsfaktoren sind dabei klare Strategien, partizipative Ansätze und die Einbindung der Mitarbeitenden.
Während staatliche Initiativen wie das AHV-Siegel und die Ernährungsstrategie „Gutes Essen für Deutschland“ wichtige Impulse setzen, beweisen praktische Beispiele, dass Veränderung möglich und wirtschaftlich tragfähig ist. Die Kombination aus Bio-Standards, Food Waste-Management und kreativen Speiseplänen macht die Kantine nicht nur zu einem Ort des Konsums, sondern zum Treiber einer neuen Ernährungskultur.
Somit hat die Außer-Haus-Verpflegung das Potenzial, durch innovative Maßnahmen die Ernährungswende aktiv voranzutreiben – mit positiven Auswirkungen für Gesundheit, Umwelt und künftige Generationen.