Handelsgastronomie im Aufwind: Chancen für den modernen Bio-Fachhandel und LEH
13.01.2025 Zukunft Handel

Handelsgastronomie im Aufwind: Chancen für den modernen Bio-Fachhandel und LEH

Die Handelsgastronomie profitiert von aktuellen Trends: Immer mehr Menschen entdecken die preisgünstigen, aber qualitativ hochwertigen gastronomischen Angebote im Handel für sich. Gründe sind neben der gestiegenen Preissensibilität u.a. die hohe Produktqualität und die schnelle Verfügbarkeit der Speisen.

Paulina Ullrich Paulina Ullrich

Die Handelsgastronomie profitiert von aktuellen Trends: Immer mehr Menschen entdecken die preisgünstigen, aber qualitativ hochwertigen gastronomischen Angebote im Handel für sich. Gründe sind neben der gestiegenen Preissensibilität u.a. die hohe Produktqualität und die schnelle Verfügbarkeit der Speisen. Eine Studie des Kölner Handelsforschungsinstituts EHI zeigt, dass die Handelsgastronomie 2023 einen Rekordumsatz von 11,7 Milliarden Euro erzielte – ein Zuwachs von rund 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Retail Report 2024 bestätigt diesen Trend und sieht die Zukunft des Handels verstärkt in der Verbindung von Einkauf und Erlebnis. Welche Chancen die gestiegene Nachfrage für Bio-Fachhandel und Lebensmitteleinzelhandel (LEH) bietet, erläutert Paulina Ullrich, Projektleiterin Handelsgastronomie beim EHI Retail Institute.

 

Vom US-amerikanischen 'Grocerant'-Trend zum Erfolgsfaktor im deutschen Handel

Die Handelsgastronomie hat ihre Wurzeln in den USA. Dort setzt man schon seit den 1970er Jahren auf die Verschmelzung von Lebensmitteleinzelhandel und Gastronomie. Später etablierte sich ein dafür eigener Begriff „Grocerant“, der sich aus den Wörtern „Grocery“ (Lebensmittelgeschäft) und „Restaurant“ zusammensetzt. In Deutschland entwickelte sich die durch die USA beeinflusste Handelsgastronomie zu einem späteren Zeitpunkt – insbesondere in den 2000er Jahren nahm sie in Deutschland Fahrt auf, als Supermärkte wie Edeka und Rewe begannen, größere gastronomische Flächen mit Salatbars, heißen Theken und Bistros zu integrieren, um auf die steigende Nachfrage nach Convenience-Produkten zu reagieren und zusätzliche Ertragsquellen zu erschließen. (EHI-Studie 2024) Heute ist die Handelsgastronomie ein zentraler Bestandteil des deutschen Lebensmitteleinzelhandels, ein wichtiger Treiber für Kundenbindung und Differenzierung im Markt und erlebt aktuell einen Aufschwung.

 

Wachstumsperspektiven für die Handelsgastronomie

„Für das Jahr 2024 erwarten wir ein Wachstum von 2,8 Prozent in der Handelsgastronomie“, erklärt Paulina Ullrich, Projektleiterin Handelsgastronomie beim EHI Retail Institute und Mitautorin der aktuellen Studie zum Thema. „Nach dem starken Plus von 15,9 Prozent im Jahr 2023 fällt die Steigerung zwar moderater aus, doch die Entwicklung zeigt klar, dass der Markt weiterhin auf einem soliden Wachstumspfad bleibt“, zitiert Ullrich aus der Studie.“ Grund dafür sei die zunehmende Nachfrage nach schnellen, bequemen gastronomischen Angeboten, die sich problemlos in den Alltag integrieren lassen.

Dass Zusatzangebote im Bio-Fachhandel sowie im klassischen LEH in Zukunft noch wichtiger werden, zeigt auch der Retail Report 2024. Die durch Krisen veränderte Handelslandschaft steht vor der Herausforderung, ihre Strategien anzupassen, um Kundinnen und Kunden trotz Konsumrückgang und wachsender Preissensibilität zu erreichen. Ein zentraler Aspekt des Retail Reports ist die „Die Renaissance der Erlebnis-Ökonomie“: Einkaufen ist mehr als ein funktionaler Akt – es wird zu einem Erlebnis. Herausragende Kundenerlebnisse, die emotional ansprechen und über den reinen Produktkauf hinausgehen, werden zum entscheidenden Differenzierungsfaktor. Was bedeutet: Eine Veränderung vom reinen Verkaufsraum hin zu multifunktionalen Erlebnisräumen, die Handel, Gastronomie und Entertainment miteinander verbinden.

 

Günstige Preise als Erfolgsfaktor – aber nicht allein

Preisbewusstsein ist ein wichtiger Treiber der Handelsgastronomie, aber längst nicht der einzige. „Die Qualität der Speisen, die schnelle Verfügbarkeit und die Anpassung an verschiedene Tagesrhythmen sind wesentliche Erfolgsfaktoren“, so Ullrich. Zudem spiele der sogenannte Trading-Down-Effekt eine Rolle: „Viele Konsumentinnen und Konsumenten entscheiden sich aufgrund wirtschaftlicher Unsicherheiten bewusst für günstigere Alternativen.“

 

Snacks und Nachhaltigkeit im Fokus

Ein klarer Trend sei die zunehmende Bedeutung von Snacks. „Snacking verändert die Konsumzeiten und spielt eine immer größere Rolle im Alltag der Menschen“, betont Ullrich. Das bedeute jedoch nicht, dass Nachhaltigkeit an Bedeutung verloren habe: „Viele Handelsgastronomie-Konzepte integrieren bereits regionale Produkte und fleischlose Alternativen, um nachhaltige Optionen zu bieten. Hier liegt die Herausforderung darin, diese Angebote noch stärker in den Fokus der Kundschaft zu rücken.“

 

Zielgruppen und ihre Vorlieben

Interessant sei auch die Altersstruktur der Nutzer: „Zwei Drittel der Kundschaft sind laut der EHI-Studie zur Handelsgastronomie 45 Jahre oder älter. Das liegt vor allem an den meistverkauften Speisen wie Schnitzel oder anderen Klassikern, die diese Zielgruppe besonders ansprechen. Die jüngere Generation sucht dagegen nach innovativen Food-Trends und Erlebnissen, die auch auf Social Media geteilt werden können“, so ein weiteres Ergebnis der Studie. Um die Handelsgastronomie breiter aufzustellen, sieht Ullrich insofern großes Potenzial in kreativen und trendbewussten Angeboten.

 

Mehrwert schaffen im LEH

Trotz stabiler Kundenfrequenz im Lebensmitteleinzelhandel bleibt die Differenzierung entscheidend. „Der Wettbewerb schläft nicht“, warnt Ullrich. „Discounter bauen ihr Snack- und To-go-Angebot stark aus und schaffen zusätzliche Konkurrenz. Für den Bio-Fachhandel und LEH ist es daher wichtig, sich durch innovative Gastronomiekonzepte abzuheben und so einen echten Mehrwert zu bieten, der die Kundenbindung stärkt.“

 

Bio-Fachhandel: Service als Differenzierungsmerkmal

Für den Bio-Fachhandel, der zunehmend unter Druck steht, könnte die Handelsgastronomie eine entscheidende Rolle spielen. „Die Handelsgastronomie verfolgt klare Ziele: eine höhere Kundenfrequenz, längere Verweildauer und ein emotionales Einkaufserlebnis. Sie schafft dabei eine Plattform, um durch Gastronomieangebote eine tiefere emotionale Kundenbindung aufzubauen“, erklärt Ullrich. „Entscheidende Erfolgsfaktoren sind unter anderem freundliches Personal, das den direkten Kontakt zur Kundschaft pflegt. Besonders die Servicequalität und die enge Kundenbeziehung, wie sie etwa im Bio-Fachhandel vorgelebt werden, können hier klare Wettbewerbsvorteile schaffen.“

 

Personalmangel und Energiekosten: So begegnet der Handel den Herausforderungen

Genau wie die klassische Gastronomie steht auch die Handelsgastronomie vor Herausforderungen wie Personalmangel und steigenden Energiekosten. Aber: „Der Handel nutzt seine strukturellen Vorteile: Skaleneffekte, effizientere Energienutzung und angepasste Öffnungszeiten bieten Pluspunkte gegenüber der klassischen Gastronomie“, erläutert Ullrich. Zudem setzen Unternehmen auf moderne Recruiting-Strategien und interne Beförderungen, um Personal zu gewinnen und langfristig zu halten.

 

Erfolgsbeispiele und Zukunftskonzepte

Die Handelsgastronomie bietet zahlreiche erfolgreiche Ansätze. „Ob Salatbars, heiße Theken oder gehobene Gastronomie – entscheidend ist, dass das Angebot zur Zielgruppe passt“, erklärt Ullrich. Als Best Practice nennt sie Edeka Zurheide, der seiner Kundschaft neben einem breiten Supermarktsortiment ein vielfältiges gastronomisches Angebot bietet. Jüngstes Projekt ist ein Gourmetlokal am Standort Bottrop. Um eine intimere Wohlfühlatmosphäre zu schaffen, wurde es durch Türen und Fensterfronten vom trubeligen Handelsgeschäft abgetrennt.

Ein internationales Beispiel für eine erfolgreiche Handelsgastronomie ist das Konzept von Eataly aus Italien. Es verbindet hochwertige italienische Lebensmittel mit einem kulinarischen Erlebnis, das Kunden nicht nur zum Verweilen, sondern auch zum Lernen und Genießen einlädt.

Vision 2030: Flexibilität und Digitalisierung

Ein Blick in die Zukunft verrät: „Die Handelsgastronomie der Zukunft wird kleinflächiger, modularer und digitaler“, prognostiziert Ullrich. To-go-Angebote und Convenience-Konzepte gewinnen weiter an Bedeutung, ebenso wie der Einsatz von Künstlicher Intelligenz und smarten Technologien. „Automatisierte Bestell- und Bezahlsysteme, personalisierte Angebote und digitale Innovationen werden die Prozesse effizienter gestalten und das Kundenerlebnis weiter verbessern.“

Für die Handelsbranche wird deutlich: Wer in der Lage ist, Erlebnisse zu schaffen, die sowohl emotional ansprechend als auch nahtlos in den Alltag der Kundschaft integrierbar sind, wird sich langfristig behaupten und sich einen Wettbewerbsvorteil sichern.

Autor

Porträt von Manuela Jagdhuber

Manuela Jagdhuber

Senior PR-Beraterin | modem conclusa gmbh