Bio in der Außer-Haus-Verpflegung: Große Herausforderungen mit großem Potenzial bewältigen
In deutschen Restaurants, Kantinen und Mensen gibt es in puncto Bio-Essen noch viel Luft nach oben. Gleichzeitig ist die Hälfte der Deutschen der Meinung, dass beim Essen außer Haus zu wenige Bio-Gerichte angeboten werden. Warum also nicht einfach anpacken? Die BIOFACH hat mit Dr. Marisa Hübner, Ärztin für Innere Medizin und Transformationsgestalterin im Bereich Gemeinschaftsverpflegung, gesprochen.
Außer-Haus-Verpflegung prägt Essenskultur
„Die Außer-Haus-Verpflegung hat großes Potenzial, gesundes, leckeres und planetenfreundliches Essen in die Breite der Gesellschaft zu tragen und eine zukunftsfähige Esskultur zu fördern“, erläutert Dr. Marisa Hübner, die sich im Rahmen von Farm-Food-Climate, einer Initiative der gemeinnützigen Organisation ProjectTogether seit 1,5 Jahren für einen Ernährungswandel in der Gemeinschaftsgastronomie stark macht. „Für mich ist die zentrale Frage: Was braucht es, dass gesundes, nachhaltiges und schmackhaftes Essen der Standard in allen Einrichtungen der Außer-Haus-Verpflegung wird? Wie können die verschiedenen Systemakteurinnen und Systemakteure motiviert und befähigt werden, diese Transformation aktiv mitzugestalten?“
Politische Umbruchstimmung als Chance
Die Außer-Haus-Verpflegung rückte in den letzten Jahren in den Fokus der Ernährungspolitik, da sie als ein bedeutungsvoller Hebel für gesellschaftliche Ernährungsbildung und die ökologische Agrartransformation (30 Prozent bis 2030) gesehen wird. Dieses Momentum sieht auch Dr. Hübner als Chance: „Die Gemeinschaftsgastronomie erhält politisch und gesellschaftlich neue Aufmerksamkeit und Bedeutung, gleichzeitig steht sie unter hohem Veränderungsdruck. Es gibt also politisch sowie in der Branche Bewegung, die wir nutzen müssen, um gemeinsam ins Handeln zu kommen“, beschreibt Dr. Hübner.
Im Oktober 2023 ist die neue Bio-Außer-Haus-Verpflegung-Verordnung (Bio-AHVV) des deutschen Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in Kraft getreten. Durch die Gesetzesänderung soll der Einsatz von Bio-Produkten in der AHV vereinfacht und ab einem monetären Bio-Anteil von 20 Prozent des Netto-Gesamtwareneinkaufs durch Siegel in Bronze, Silber oder Gold sichtbar gemacht werden. „Im Moment liegt der Anteil an Bio-Essen in der Gemeinschaftsgastronomie im kleinen einstelligen Bereich. Die Idee, dass diejenigen, die Bio einsetzen, durch eine Art Medaille belohnt werden, finde ich sinnvoll. 20 Prozent Bio sind meist ohne große Kostensteigerungen machbar. Gleichzeitig sehe ich, dass gerade in Momenten multipler und teils ideologischer Krisen, das Thema Bio ‚hinten runterfällt‘. Wirkungsvoller könnte es daher sein, das Thema nicht isoliert zu betrachten und zu kommunizieren, sondern als Teil einer ganzheitlichen Transformation, die auf Zukunftsfähigkeit und damit auch Wirtschaftlichkeit und Resilienz abzielt, durch u.a. Food-Waste-Reduktion, mehr pflanzliche Lebensmittel, saisonalen Einkauf usw.“, betont Dr. Hübner.
Veränderte Anforderungen der Gäste
Eine Umbruchsstimmung ist auch von Seiten der Gäste zu beobachten. Laut BMEL-Ernährungsreport 2024 sind 50 Prozent der Befragten der Ansicht, dass in Restaurants und Kantinen zu wenig Bio-Essen angeboten wird. Hinzu kommen die Ansprüche der unterschiedlichen, sich verändernden Zielgruppen.
Dr. Hübner erläutert: „Kantinen-Essen sollte bisher vor allem eins sein: günstig und lecker. Heute kommen Dimensionen wie die persönliche Gesundheit und Vorlieben, Umweltschutz, Transparenz, Konnektivität und Flexibilität dazu. Je nach Sektor – Care, Education oder Business – unterschiedlich akzentuiert. In der Betriebsgastronomie sehe ich schon jetzt, dass Kantinen zu Aushängeschildern für Unternehmen werden. Gutes, gesundes Essen, subventioniert zum niedrigen Preis, das lohnt sich für die Bindung und Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie für die Nachhaltigkeitsbilanz. Gesellschaftlich haben wir diese Rechnung noch nicht gemacht. In Kitas, Schulen, Krankenhäusern sowie Alten- und Pflegeeinrichtungen geht es bei der Verpflegung weiterhin vor allem um den Preis. Doch gerade hier müssen gesundheitliche und ökologische Aspekte mehr Bedeutung erhalten und Bezahlbarkeit und Zugänglichkeit für alle gesichert werden. Die Politik hat hier den Rückenwind der Gesellschaft, wie die Empfehlungen des Bürgerrates ‚Ernährung im Wandel‘ zeigen.“
Holistischer Ansatz für Öko-Transformation
Doch so großes Potenzial die Branche hat, so groß sind auch die Herausforderungen. „Die Außer-Haus-Verpflegung wird im Moment von vielen Problemen ‚aufgefressen‘ “, bestätigt Dr. Hübner. Dazu zählen laut der Transformationsgestalterin die Belastungen durch die gestiegene Mehrwertsteuer, Preissteigerungen für Energie und Lebensmittel, instabile Lieferketten, New Work sowie Digitalisierung. Der zunehmende Arbeits- und Fachkräftemangel sowie eine stärkere Preissensibilität bei den Gästen kommen als weitere Faktoren erschwerend hinzu. Dr. Hübner ergänzt: „Auch die Verfügbarkeit von Bio-Lebensmitteln ist immer noch eine Hürde. Bio-regionale Produkte in der (vorverarbeiteten) Qualität, wie sie viele Betriebe in Deutschland brauchen, sind z.B. noch nicht ausreichend verfügbar, hier gilt es erst einmal die entsprechende Infrastruktur zu schaffen.“
Trotz aller Hürden blickt Dr. Hübner optimistisch in die Zukunft: „Wir haben alles Wissen und alle Möglichkeiten diese Transformation zu schaffen, wir müssen es nur wollen und machen.“ In ihrer Wahrnehmung braucht es dafür ein neues Mindset: “Wir verwenden noch zu viel Energie darauf, an einem längst überholten Status Quo festzuhalten und darüber zu diskutieren, was nicht geht. Dabei haben wir jetzt die einmalige Möglichkeit, aktiv unsere kulinarische Zukunft zu gestalten – gemeinsam, kreativ, innovativ, ganzheitlich, traditionsbewusst und globaldenkend.“
Kreativität und gute Praxisbeispiele sind gefragt
Wie dieser Wandel gelingen kann, davon hat Dr. Hübner eine klare Vorstellung: „Viele Beispiele aus allen Sektoren zeigen, dass die Außer-Haus-Verpflegung schon jetzt die Möglichkeit hat, gesundes und nachhaltiges Essen umzusetzen. Ein zentraler Hebel ist Speiseangebote anders zu kuratieren und zu präsentieren. Ich erinnere mich an ein Beispiel aus dem Verbundprojekt „NAHGAST“ (Nachhaltiges Produzieren und Konsumieren in der Außer-Haus-Gastronomie), bei dem der klassische Königsberger Klops durch weniger Fleisch und mehr Grünkern zu einem gesundheitsförderlichen ‚Klimaklops‘ ohne geschmackliche Abstriche wurde. Häufig kann mit pflanzlicheren Rezepturen Geld gespart werden, was mehr Budget für bessere Produktqualität und Bio lässt. Anders einkaufen, anders kochen, den Tischgast zu einem ‚neuen Normal‘ begleiten und verführen – damit kann jeder heute anfangen.“
Auch das Projekt „Kantine Zukunft“ aus Berlin hat in vielen Einrichtungen bewiesen, dass durch praxisnahe Beratung und Begleitung auf Augenhöhe die Umsetzung von gesundem und leckerem Essen mit hohem Bio-Anteil preisneutral möglich ist. – weitere Leuchtturmprojekte für mehr Bio in der Außer-Haus-Verpflegung.
Dr. Hübner bekräftigt: „Für die erfolgreiche Umsetzung dieser Beispiele in der Breite braucht es einen Wandel in Köpfen und Töpfen. Die Personen in Küchen und hinter Ausgabetheken sind die Changemakerinnen und Changemaker, die wir gewinnen, motivieren und befähigen müssen. Vorbilder und Good-Practice-Beispiele sind meines Erachtens essenziell. Es braucht Leute, die es vormachen und anderen zeigen, dass und wie es geht. Es braucht Pioniere, die für das Thema brennen und deren positive Energie, Motivation und Wissen auf andere übergeht. Und es braucht mehr und besser sichtbare Formate, in denen wir gemeinsam mit anderen Akteurinnen und Akteuren des Systems – aus Handel, Landwirtschaft, Politik, Verwaltung, Gesellschaft etc. – in einen konstruktiven Austausch und in die Umsetzung kommen. Denn eins ist klar: die große Aufgabe des Ernährungswandels in der Außer-Haus-Verpflegung können wir nur gemeinsam schaffen.“