Food connects everything
28.05.2024

Food connects everything

Im Gespräch mit „Klimaköchin“ und Gastro-Coach Estella Schweizer zum BIOFACH-Branchentrend „Personal and Planetary Health“

Bild von Estella Schweizer

Der Ruf nach einer gesunden, klimabewussten Ernährung wird immer lauter. Grund für die BIOFACH-Trendjury – bestehend aus den Branchenexperten und -expertinnen Anne Baumann (stellvertretende Geschäftsführerin AöL), Karin Heinze (Gründerin BiO Reporter International), Michael Radau (Vorstand SuperBioMarkt AG), Jens Schinnerling (Einkaufsleitung dennree GmbH) und Julian Stock (Vorstand Good Food Collective) – „Personal and Planetary Health“ als Branchentrend 2024 zu identifizieren. Diese neue Bewegung ist vor allem in der wachsenden, jungen Generation zu beobachten, die verstärkt Wert auf gesunde und klimaschützende Lebensmittel legt. Zukunftskonzepte wie die Planetary Health Diet oder der immer weiter verbreitete Veganuary beflügeln diesen Lebensstil zunehmend. Gleichzeitig wird in älteren Generationen das Thema Altern neu definiert, indem die Verlängerung der gesunden Jahre durch eine bewusste und ausgewogene Ernährung in den Vordergrund gestellt wird. Warum Essen mit Blick auf den Planeten nicht anstrengender, sondern spannender wird, weiß Estella Schweizer, Expertin für die klimafreundliche Küche und pflanzliche Ernährung.

1. Das Ernährungssystem braucht eine Transformation. Welchen Einfluss hat unsere Ernährung auf die Gesundheit des Planeten?

„Food connects everything“ – und die Gesundheit des Planeten ist in dieser Hinsicht ein wahnsinnig vielschichtiges Thema. Das rein biologische Ökosystem der Erde fußt auf vielen verschiedenen Säulen, die sich gegenseitig im Gleichgewicht halten können und Dysbalancen abfangen. Jedoch hat der Mensch über die letzten 200 Jahre so massiv eingegriffen, dass dieses Gleichgewicht jetzt bedroht ist. Dabei vergessen wir, dass wir Teil der Erde sind und, dass die Natur wesentlich mächtiger ist als wir. Sie wird immer einen Weg finden, wieder in Balance zu kommen. Wir jedoch nicht! Wir sind von ihr abhängig und wir finden, ohne das Milieu, in dem wir klarkommen, wohl keine Möglichkeit zu überleben.

Gleichzeitig haben unsere Ernährungsgewohnheiten einen sehr weitreichenden Einfluss auf die sozialen Strukturen der Welt, die Umwelt die uns umgibt, die planetaren Belastungsgrenzen der Erde und unsere eigene Gesundheit. Das Ernährungssystem zu transformieren allein, kann die Erde nicht heilen – aber unsere individuelle Ernährung ist der einfachste Beitrag, den jeder Mensch täglich leisten kann, um die Dinge zum Positiven zu verändern.

Im Moment fußt das ganze System auf Ausbeute: Ausbeute an Landfläche, Wasser-Ressourcen und der Bodengesundheit. Ausbeute an sozialen Strukturen, Ausbeute an Tieren und Ausbeute an Menschen. Und noch dazu beuten wir mit unserer westlich geprägten kalorischen Überernährung und gleichzeitigen mikronährstofflichen Mangelernährung unseren Körper und unsere Gesundheit aus.

2. Macht da Essen überhaupt noch Spaß?

Ja, ganz besonders – sogar mehr als bisher. Denn Lebensmittel mit Hilfe unserer Hände und mit Kreativität zu Mahlzeiten zu verarbeiten, ist ein ganz ursprüngliches Thema in der Entwicklung unserer Spezies. Viele Jahrhunderte lang hat sich unser Alltag ausschließlich darum gedreht, Lebensmittel zu sammeln, zu ernten, zu fangen und daraus mit Fingerfertigkeit und Geschick Essbares zuzubereiten. Uns zu (er)nähren ist essenziell – es ist der Betriebsstoff des Lebens. Und es waren vielseitige Tätigkeiten, die unseren Alltag geprägt haben. Heute verbringen wir unseren Arbeitsteig oft sehr monoton, mit den immer gleichen Aufgaben und Inhalten. Und von dem Geld, das wir verdienen, kaufen wir Essbares, das in Fabriken hergestellt wurde, essen außer Haus oder on-the-go und haben den Kontakt zur eigentlichen Essenz der Nahrungsaufnahme verloren. Meine Gegenfrage ist also: Warum sollte eine Ernährung und Nahrungsmittelzubereitung, die uns befähigt, uns selbst zu involvieren und wieder kreativ und aktiv zu werden, weniger Spaß machen als das, was wir heute praktizieren? Es geht überhaupt nicht um Verzicht – es geht vielmehr um neue Perspektiven und Ansätze, die wir entdecken dürfen.

3. Der Zusammenhang zwischen unserem Essverhalten und der Umwelt interessiert vor allem die junge Generation. Wieso?

Das ist eine sehr pauschale Aussage, die ich nicht ganz teilen kann. Jüngere Menschen haben aufgrund der aktuellen Berichterstattung zu Umweltthemen, dem Klimawandel und dem Tierwohl in dieser Hinsicht sehr früh im Leben mehr Berührungspunkte mit dem Klimawandel und ihrer eigenen, gefährdeten Zukunft. Frühere Generationen haben sich mehr auf ihre Karriere und Wachstum konzentriert und das weitere Bestehen der Welt, wie sie sie kannten, als selbstverständlich angenommen. Der Zusammenhang zwischen Ernährung und Umwelt wird heute immer deutlicher dargestellt. Ein Drittel der unter 30-Jährigen ernährt sich flexitarisch und verzehrt wesentlich weniger Fleisch und Milchprodukte als noch die eigenen Eltern. Jetzt kommt mein „ABER“: In Umfragen zeigt sich, dass eine „gesunde Ernährung“ für jüngere Menschen mit „vegan“ assoziiert ist – ungeachtet der Tatsache, ob es naturbelassene oder ultra-hochverarbeitete (UHV) Produkte sind. Das ist zum einen eine spannende Entwicklung, zugleich aber auch heikel. Den Verzehr von tierischen Produkten auf ein Minimum zu reduzieren, könnte die Emissionen, die im Bereich „Food“ zu Stande kommen um 60 % vermindern. Das hätte zahlreiche positive Folgen auf die Landnutzung und den Wasserverbrauch. Darüber hinaus könnte es zur Renaturierung von Landfläche beitragen. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, dass unter „vegan“ nicht eine Ernährung voller Alternativ-Produkte zu Fleisch und Milch verstanden wird (und damit UHV-Produkte), sondern wir uns eher an der Planetary Health Diet orientieren, die zu über 70 % auf naturbelassenen Grundzutaten aufbaut: Gemüse, Obst, Salate, Getreide, Hülsenfrüchte, Nüsse und kaltgepresste Öle.

4. Gleichzeitig wollen die älteren Generationen ihre gesunden Jahre durch eine bewusste und ausgewogene Ernährung verlängern. Wie sieht das konkret aus?

Was definitiv inzwischen zu beobachten ist: Über das Altern wird mehr nachgedacht. Und, dass in den Medien mehr darüber berichtet wird, was „gesund altern“ bedeuten kann, nämlich mehr bewusste Bewegung in den Alltag integrieren, sich um die eigene Gehirnleistung kümmern und den immensen Wert einer ausgewogenen Ernährung verstehen. Dennoch beobachte ich, dass sich eher 40-60-jährige Menschen damit auseinandersetzen, was das im Detail für ihre Alltagsernährung bedeutet, als es Menschen über 65 Jahre tun. Tatsächlich in den Vordergrund gestellt wird es vor allem in Sach- und Kochbüchern, Dokumentationen und Lifestyle-Ratgebern. Immerhin schließt als medizinische Narrativ endlich den Aspekt der Prävention auch im Ernährungsbereich mit ein. Leider beobachte ich noch sehr wenig, dass das tatsächlich auch im Alltag der Menschen Fuß fasst. Aber der Impuls ist gesetzt und ich bin zuversichtlich, dass sich in den kommenden Jahren diesbezüglich sehr viel entwickeln wird.

5. Unternehmen der Lebensmittelindustrie können im Ernährungssystem einen großen Hebel in Bewegung setzen. Wie können sie die Konsumenten und Konsumentinnen mit innovativen Produkten abholen, ohne mit dem Zeigefinger wahrgenommen zu werden?

Ich persönlich finde, dass es den „erhobenen“ Zeigefinger gar nicht mehr gibt, wenn wir über Lebensmittel und Klimawandel sprechen. Ein Unternehmen der Lebensmittelindustrie, das ein Produkt auf den Markt bringt, welches zukunftsfähiger, ökologischer und gesünder ist als das bisherige Angebot und versucht dieses den Konsument:innen schmackhaft zu machen, handelt doch im Angesicht der Herausforderungen unserer Gegenwart. Lebensmittelherstellende Betriebe haben eine Verantwortung gegenüber der Gesundheit der Gesellschaft und damit auch gegenüber der Gesundheit des Planeten Erde. Insofern halte ich es für erstrebenswert, dass die Food-Branche neue Trends setzt. Ich würde sagen, es ist sogar zu befürworten, wenn Unternehmen versuchen hier positiv Einfluss zu nehmen. Auf der anderen Seite ist natürlich wichtig, dass wir uns am Ende von weitgehend unverarbeiteten Produkten ernähren. Also weniger Convenience-Food essen – und damit können lebensmittelverarbeitende Betriebe nun leider keinen Umsatz machen.

6. Damit sich der Speiseplan der Zukunft in der Breite durchsetzen kann, gilt es möglichst viele Menschen zu überzeugen. Wie gelingt das und wie wichtig sind dabei offizielle Konzepte wie die Planetary Health Diet oder der Veganuary?

Wir brauchen möglichst viele Menschen an Bord, die verstehen, dass die Speisepläne der Zukunft zu unser aller Bestem sind. Dabei geht es um einen Zugewinn an Lebensfreude und Genuss. Darüber hinaus Selbstfürsorge, kreative Handlungsfähigkeit und Kompetenz. Die Planetary Health Diet beschreibt ein Ernährungskonzept, das wissenschaftlich untermauert ist, uns erwiesenermaßen gesünder machen kann und den Planeten Erde entlastet. Sie bietet einen Leitfaden, an dem wir uns täglich orientieren können, wenn wir uns überlegen, was wir essen. Der Veganuary dagegen ist eine Kampagne, welche Menschen in der Breite erreichen möchte. Sie soll motivieren und einen niederschwelligen Einstieg für neue Erfahrungen ermöglichen – nämlich die, der bunten, vielseitigen, pflanzlichen Ernährung. Mir ist bewusst, dass wir uns alle in jeglicher Hinsicht mit immensen Herausforderungen konfrontiert fühlen und dass diese, besonders, wenn es um das Thema Klimawandel geht, schier unmöglich zu meistern scheinen. Eine Sache, die jedoch jeder von uns von heute an dreimal am Tag umsetzen kann, ist die Entscheidung was wir essen und wie wir uns ernähren. Und wenn sich alle Menschen weltweit weitgehend pflanzlich ernähren würden, könnten wir die Ziele des Pariser Abkommen vielleicht sogar noch erreichen.

Autor

Manuela Jagdhuber

Manuela Jagdhuber

Senior PR-Beraterin | modem conclusa gmbh