„Bio-Lebensmittel als den besseren Genuss positionieren“
Im Interview: Handelsexperte Prof. Dr. Stephan Rüschen zur Zukunft des Handels und Chancen für Bio-Marken. Erfahren Sie, wie Bio-Lebensmittel und ökologischer Anbau den Handel revolutionieren. Mit Bio-Siegeln, nachhaltigen Konzepten und regionaler Frische in eine gesunde Zukunft.
Im Interview: Handelsexperte Prof. Dr. Stephan Rüschen zur Zukunft des Handels und Chancen für Bio-Marken
Bio wird bunt. Ein verändertes Konsumverhalten durch politische und wirtschaftliche Krisen sowie Digitalisierung haben die Struktur des Lebensmitteleinzelhandels verändert. Supermärkte, Discounter und Drogerien bauen ihr Bio-Angebot aus und holen Bio-Markenartikelhersteller mit ins Boot. Der Bio-Fachhandel muss sich mit seinem Sortiment behaupten und wird auf die Probe gestellt. Aber welche Handelsform kann wie dazu beitragen, Bio Lebensmittel weiter nach vorne zu bringen? Und welche Chancen eröffnen sich Bio Marken durch die neuen Strukturen? Stephan Rüschen, Professor für Lebensmittelhandel & Food Retail an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Heilbronn, blickt im Interview mit der BIOFACH in die Zukunft des Handels.
1. Bio-Produkte boomen, vor allem im LEH und in Drogeriemärkten. Ist Bio „von allen für alle“ besser als gar kein Bio?
Ja, da Bio eindeutig definiert ist, ist es eigentlich nicht relevant, wo und wer Bio Lebensmittel kauft. Ein Bio-Anteil von 30 % bis 2030 ist nur zu erreichen, wenn viele Kunden einen relevanten Teil ihres Bedarfs mit Bio Produkten decken. Es spielt also keine Rolle, wo Bio gekauft wird (Supermarkt, Discounter oder Bio-Laden). Bio mit Verbandssiegel (z.B. Bioland) ist natürlich noch besser für die Umwelt, aber auch Standard-Bio (nur EU-Bio-Siegel) hilft der Umwelt und dem Menschen.
2. Also gilt: Alle ziehen gemeinsam an einem Strang für 30 % Bio bis 2030 in Deutschland?
Ja absolut! Alle Betriebsformen gemeinsam können Bio nach vorne bringen. Was wir seit Jahren sehen, ist dass der konventionelle Handel, sprich also die Discounter und die klassischen Vollsortimenter, jedes Jahr deutlich an Marktanteil gewinnt – zu Lasten des Bio-Fachhandels. Aber nach wie vor kann jeder seinen Beitrag leisten: die Discounter eher preisorientierter und der Bio-Fachhandel eher qualitätsorientierter. Wenn wir immer mehr in die Masse gehen wollen, um den Bio-Anteil von heute knapp 7 % auf 30 % zu erhöhen, müssen wir uns mehr auf die Kundinnen und Kunden fokussieren, die hybrid kaufen, also mal Bio-Produkte und mal konventionelle Lebensmittel.
3. Die Fachhandelstreue von Bio-Markenartikelherstellern scheint vorbei zu sein, dennoch beherrschen Eigenmarken das Bio-Angebot im LEH. Welche Chancen eröffnen sich Bio-Marken im LEH und wie bekommen sie den Fuß in die Türe?
Die Türen stehen für die Bio-Marken beim konventionellen LEH offen. Besonders die Supermärkte wie Edeka und Rewe können und wollen sich mit Bio-Marken gegenüber dem Discounter profilieren.
Manche Bio-Marken wie Rapunzel zum Beispiel haben noch besondere Ansprüche an die Platzierung in Supermärkten. Ich glaube, dass Bio-Artikel konsequent neben den konventionellen Artikeln platziert sein sollten. In Supermärkten finden wir die hybriden Kunden, die nur einen Teil ihres Bedarfs mit Bio-Artikeln decken. Bei einer solchen Warengruppenplatzierung würden diese hybriden Kunden besser an die Bio Marken herangeführt werden. Bio-Abteilungen halte ich daher im Supermarkt nicht für zielführend. Außerdem sollten sich die Bio Marken den Drogerien öffnen, die einen überdurchschnittlichen Anteil am Bio-Markt haben und sehr hohe Wachstumschancen eröffnen. Es wird spannend sein zu sehen, wie weit sie bereit sind ihre eigentliche Kernpositionierung, nämlich den Verkauf von Drogeriewaren, zu erweitern und stärker in den Lebensmittelbereich reinzugehen.
4. An der hohen Nachfrage nach Bio-Eigenmarken zeigt sich, dass Verbraucherinnen und Verbraucher aktuell sehr preissensibel reagieren. Haben Bio-Marken neben den Handelsmarken überhaupt noch eine Daseinsberechtigung?
Das ist tatsächlich eine spannende Frage. Das Konsumforschungsunternehmen GfK hatte vor drei Jahren schon einmal bei der Gegenüberstellung von konventionellen Handelsmarken und Marken „Markendämmerung“ getitelt: also, ob Markenartikel jetzt sozusagen keine Berechtigung mehr haben.
Bio-Markenartikel müssen einen Mehrwert leisten, weil der Markenartikel deutlich mehr kostet als die Handelsmarke. An was wir vielleicht zuerst als Pro-Argument denken: Bio Marken tragen die höherwertigen Bio-Siegel Bioland, Naturland und Demeter. Dies gilt jedoch nicht mehr uneingeschränkt, denn Handelsmarken nutzen mittlerweile auch Verbandssiegel.
Das zweite Argument für Bio Marken ist die Qualität – nicht ganz einfach rüberzubringen beim Kunden. In diesem Zusammenhang könnte auch der Geschmack eine Rolle spielen, weil das für die Kunden tatsächlich relevant ist und vielleicht auch das, was die Handelsmarke nicht hinkriegen wird. In meinen Augen wichtigstes Kriterium ist die Regionalität. Da könnten Bio-Markenartikel einen echten USP schaffen, den die Handelsmarke nie erreichen wird. Denn diese wird immer auf Masse gehen müssen und das Thema Regionalität nicht spielen können. Und am Ende gilt für Markenartikel, die erfolgreich sein wollen, das Gebot der Ubiquität, der Allgegenwärtigkeit. Die Bio-Markenartikel sollten eine gute Verfügbarkeit in allen Betriebsformen des Handels anstreben, um langfristig erfolgreich zu sein.
5. Was bedeutet es für den Bio-Fachhandel, wenn Bio-Marken überall zu haben sind – wird er langfristig eine Perspektive haben?
Die Rahmenbedingungen für den Bio-Fachhandel bleiben schwierig. Der Bio-Fachhandel kann nicht mehr auf die Fachhandelstreue von Bio-Marken setzen und ein Ende der Preisorientierung der Kunden ist bisher nicht in Sicht. Ich glaube, dass sich der Bio-Fachhandel neu aufstellen muss: Ein System wie bei EDEKA halte ich für erfolgsversprechend: Selbstständige Bio-Fachhändler, die sich unter einer starken Marke agierend, in einer großen Kooperation zusammenschließen, aber große Handlungsspielräume bei der konkreten Ausgestaltung ihres Konzeptes nutzen. Zum Beispiel sollten sich Bio-Läden konsequent an die Bedürfnisse vor Ort anpassen (z.B. Sortimentsgestaltung) und sich zusätzlich als DIE regionale Einkaufsstätte profilieren: Der Bioladen sollte ein Teil der örtlichen Gemeinschaft sein.
6. Stichwort: Hyperinformed-consumer: Welchen Anspruch hat die Bio-Käuferin, der Bio-Käufer von heute an den Handel?
Bio Produkte müssen für die Verbraucher bezahlbar sein. Das bedeutet, dass der Preisabstand zu konventionellen Produkten nicht zu hoch sein darf. Bio allein reicht als Kaufargument bei vielen Kunden nicht aus, daher sollten Bio und Regionalität Hand in Hand gehen. Unsere aktuelle Studie Attitude-Behavior-Gap im LEH zeigt, dass Regionalität für Kunden wichtiger ist als Bio. Außerdem sehen wir leider, dass Nachhaltigkeit allgemein als Kaufkriterium in den letztem 3 Jahren an Bedeutung verloren hat. Der Frage, ob Menschen für Nachhaltigkeit auf Wohlstand zu verzichten bereit sind, haben 2023 noch 44 % zugestimmt. 2024 waren es laut unserer Studie nur 30 %, das ist ein sehr signifikanter Unterschied. Die geringere Kaufkraft seit Beginn des Ukraine-Konfliktes hat sich negativ auf Nachhaltigkeitskriterien als Kaufargument ausgewirkt, während der Preis wieder deutlich gewonnen hat. Außerdem ein spannender Punkt: Bio, Nachhaltigkeit und Gesundheit sind drei Kaufkriterien, die komplementär zueinander sind. Kunden wollen aber auch genießen, das bedeutet, dass Bio sich auch als der bessere Genuss positionieren sollte. Es braucht ein neues Narrativ im Sinne von: Wenn ich mit Bio Produkten etwas Gutes für meine Gesundheit tue, bedeutet es nicht, dass ich leiden muss, sondern, dass z.B. Bio-Fleisch einfach besser schmeckt und zudem gut für meine Gesundheit ist. Wenn das gelingt, hat Bio eine echte Chance im Handel zum Selbstläufer zu werden.