Bio-Landwirtschaft zwischen traditionellem Wissen und Hightech
15.11.2023

Bio-Landwirtschaft zwischen traditionellem Wissen und Hightech

Die schleswig-holsteinische Unternehmensgruppe WESTHOF BIO und der oberbayerische Huabahof sind Beispiele dafür, welche Vorteile technologische Innovationen für den Gemüseanbau und die Milchviehwirtschaft haben.

Landwirt mit einem digitalen Tablet in einer Gewächshausplantage

Die ökologische Landwirtschaft gilt als klassisches Gegenmodell zur hochtechnisierten, konventionellen Agrarindustrie. Doch die Zukunft liegt in der Kombination aus technologischen Innovationen und dem traditionellen ökologischen Anbau. Wie dies gelingen kann und welche Vorteile es mit sich bringt, zeigen Bio-Landwirte, die ihre Betriebe bereits hochtechnisiert haben.

Vor dem Hintergrund, dass sich auch die Bio-Landwirtschaft an die Folgen des Klimawandels anpassen muss, kann eine grundsätzliche Ablehnung von technologischen Innovationen eher kontraproduktiv sein. Denn diese Anpassungsleistung erfordert neue Strategien und eine Offenheit gegenüber neuen Technologien. In der Zukunft müssen rund zehn Milliarden Menschen ernährt werden, die nach aktuellen Prognosen der Vereinten Nationen 2050 auf der Erde leben werden. Der Schweizer Agrarwissenschaftler und Vordenker des Bio-Landbaus Urs Niggli ist sich sicher, dass dies nur gelingen kann, wenn die gesamte Landwirtschaft nachhaltig wird. Neue Technologien helfen, weniger Ressourcen zu verbrauchen, die eigenen Abfälle besser zu verwerten sowie die vorhandenen Flächen effizienter zu bewirtschaften1.

 

Skepsis gegenüber technologischem Fortschritt?

Der ökologische Landbau basiert stark auf Wissen, das seit Generationen weitergegeben wird. Die Bio-Bauern sind die wichtigen Träger dieses tradierten Wissens. Im öffentlichen Diskurs wurde in den letzten Jahren kritisiert, dass die Skepsis gegenüber dem technologischen Fortschritt im Ökolandbau zu groß sei, und dies der besten Nutzung des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts im Wege stehe.

 

Rasanter Strukturwandel in der Landwirtschaft

In der Landwirtschaft vollzieht sich ein rasanter Strukturwandel: Die Zahl der Höfe ist im Laufe der Zeit stark gesunken. Von den 1,5 Millionen Höfen, die es im Jahr 1960 allein auf dem Gebiet der damaligen Bundesrepublik Deutschland gab, waren 2022 nur noch knapp 258.700 im gesamten Bundesgebiet übrig. Dabei sind die Betriebe mit durchschnittlich rund 62 Hektar heute deutlich größer als vor 60 Jahren – damals waren es rund 8,7 Hektar2. Immer mehr Betriebe entscheiden sich für einen Umstieg auf den ökologischen Landbau. In diesem Segment hat sich die Zahl der Höfe in den vergangenen 20 Jahren mehr als verdreifacht.

Und auch technologisch vollzieht sich ein Strukturwandel: Neue Gentechnik wie die Genschere, Digitalisierung, KI-gestützte Landwirtschaft, Erneuerbare Energien, maschinentechnische Innovationen sind in diesem Zusammenhang wichtige Begriffe.

Hanni Rützler
„Die Digitalisierung kann helfen, Prozesse in der Landwirtschaft besser zu organisieren, etwa mithilfe autonomer Lenksysteme in Traktoren, Flächenmonitoring durch Satellitendaten, automatischen Melkrobotern, Drohnen zum Wildtierschutz etc.“
Hanni Rützler (Food-Report 2024)
Wie auch Bio-Landwirte von technischen Innovationen profitieren können, ihre Arbeit erleichtert und das Tierwohl gesteigert wird, zeigen der Huabahof in Königsdorf im oberbayerischen Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen und der WESTHOF BIO im schleswig-holsteinischen Friedrichsgabekoog in der Nähe von Heide.
Der Huabahof wird von Franz Xaver Demmel in zehnter Generation betrieben. Der Huabahof wird von Franz Xaver Demmel in zehnter Generation betrieben.

Der Huabahof als Leuchtturmprojekt

Der Huabahof von Landwirt und Ingenieur Franz Xaver Demmel ist seit 2005 ein Naturland-zertifizierter Biobetrieb zur Fleisch- und Milchproduktion.

Mit dem Bau eines Milchviehlaufstalles in den frühen 1980er Jahren war der Betrieb einer der ersten in Deutschland und somit schon damals seiner Zeit voraus. Mittlerweile ist der Huabahof zu einem „Energie-Plus-Betrieb" umgebaut und zeigt, wie eine weitestgehend CO2-neutrale Haltung der 85 Milchkühe möglich ist.

Franz Xaver Demmel betreibt den Hof in zehnter Generation: „In jüngeren Jahren, noch auf dem alten Hof, habe ich viele Sachen kennengelernt und Wissen angehäuft. Als dann klar war, dass unser Sohn in unsere Fußstapfen tritt und den Betrieb weiterführt, haben wir uns gefragt, welche Aspekte für den Betrieb der Zukunft wichtig sind. In den nächsten Jahren wird sich entscheiden, ob wir ein Mahnmal werden – oder ein Leuchtturm.“

Mit dem Energie-Management-System (EMS), steuert Franz Xaver Demmel die Energieflüsse des Hofes. Mit dem Energie-Management-System (EMS), steuert Franz Xaver Demmel die Energieflüsse des Hofes.

Ein Energie-Plus-Betrieb

Wichtig beim Huabahof ist die regenerative Energieversorgung und das Energie-Management-System (EMS), das gemeinsam mit der TU München und der Hochschule Weihenstephan entwickelt wurde und die Energieflüsse des Hofes steuert. Die betriebseigenen Photovoltaikanlagen liefern den Strom und die Hackschnitzelheizung für die Wärmeversorgung wird mit Holz aus dem eigenen Wald befeuert. Auf dem Hof werden elektrische Fahrzeuge genutzt wie ein E-Hoflader, ein E-Radlader und ein selbstfahrender E-Futtermischwagen. Diese Fahrzeuge dienen gleichzeitig als mobile Speicher für den Strom. Der Huabahof produziert zwei Drittel mehr Energie als er verbraucht, der Überschuss wird in das örtliche Stromnetz eingespeist.

Der E-Futterschieber bringt das Futter in die richtige Position, damit die Tiere immer frisch versorgt werden. Der E-Futterschieber bringt das Futter in die richtige Position, damit die Tiere immer frisch versorgt werden.

Zukunftsfähiger Stall

Herzstück des Hofes ist der Milchviehlaufstall, der 2019 überwiegend in Holzbauweise errichtet wurde. Ausgestattet ist der Stall mit einem emissionsarmen und tierschutz-freundlichen Spaltenboden mit Gummi-Kanten, der die Emissionen aus der Gülle um 50 Prozent reduziert. Dabei unterstützt ein Roboter, der die Gülle nach unten schiebt und so den Boden sauber hält. Die lichtfrequenzgeführte Tageslichtsteuerung, die witterungsgesteuerte Öffnung der Stallwände und Steuerung der Ventilatoren sorgen für ein optimales Mikroklima. Dank der beiden Melkroboter haben die Kühe die Möglichkeit, zum Melken zu gehen, wann sie Lust haben. Die Melkrobotertechnik unterstützt durch die integrierte Analysetechnik auch dabei, möglichst wenig Medikamente einzusetzen. Es wird von jeder einzelnen Kuh ein Vitalitätsprofil erstellt, das mit Hilfe von Schrittzählern komplettiert wird. Die Tiere können fressen, schlafen und auf die Weide gehen, wann immer sie möchten. Denn mit dem Transponder, den sie tragen, können sie das Tor zur Weide selbstständig öffnen.

Für die Zukunft hat Franz Demmel neue Pläne: „Wir wollen versuchen, alle elektrischen Arbeitsmaschinen und Autos als mobile Speicher in das Energie-Management-System zu integrieren. Wir sind daran, auch das Thema Wasserstoff als Zwischenspeicher-Konzept zu schaffen, das den Hof völlig autark machen würde.“ 
Rainer Carstens und Paul-Heinrich Dörscher, Gründer und Geschäftsführer der Unternehmensgruppe WESTHOF BIO, bewirtschaften rund 1.200 Hektar Ackerfläche direkt an der Nordseeküste. Rainer Carstens und Paul-Heinrich Dörscher, Gründer und Geschäftsführer der Unternehmensgruppe WESTHOF BIO, bewirtschaften rund 1.200 Hektar Ackerfläche direkt an der Nordseeküste.

Der Westhof denkt biologische Anbauweise weiter

Hoch im Norden im Landkreis Dithmarschen liegt der Westhof, der seit 1972 im Familienbesitz ist. Rainer Carstens hat seinen Betrieb bereits vor 30 Jahren auf ökologischen Landbau umgestellt, seit 1989 ist der Betrieb Bioland zertifiziert. Mit 60 Hektar Ackerfläche hat er angefangen. Heute bewirtschaftet die WESTHOF BIO Gruppe, die Rainer Carstens gemeinsam mit Paul-Heinrich Dörscher gegründet hat, rund 1.200 Hektar. Ein Großteil davon liegt im Westen Dithmarschens direkt an der Nordseeküste. Der nährstoffreiche Boden und die reine Luft bieten beste Bedingungen für den Gemüseanbau. Die sechsjährige Fruchtfolge sorgt für die Beibehaltung des gesunden Bodens. Zur WESTHOF BIO Gruppe gehört auch Deutschlands einzige reine Bio-Frosterei.

Mitarbeiterinnen von WESTHOF BIO bei der Qualitätskontrolle der geernteten Paprikas im Gewächshaus. Mitarbeiterinnen von WESTHOF BIO bei der Qualitätskontrolle der geernteten Paprikas im Gewächshaus.

Nachhaltiges Bio-Gewächshaus

Auf einer Fläche von 10 Hektar wachsen in zwei Gewächshäusern insgesamt 109.000 Tomaten- und 130.000 Paprikapflanzen. Damit zählen die beiden Gewächshäuser zu den größten Bio-Gewächshäusern in Deutschland. Anders als in konventionellen Treibhäusern wachsen die Pflanzen nicht auf Substrat, sondern auf echtem Dithmarscher Marschboden und werden mit Regenwasser bewässert. Zahlreiche Hummeln sind für die Bestäubung zuständig.

Autarke Energieversorgung aus erneuerbaren Energien

„Wir arbeiten seit 2015 energieneutral, denn wir produzieren mehr Energie als wir verbrauchen“, so Rainer Carstens. „Unser Ziel ist es, der Natur so viel zurückzugeben, wie ihr entnommen wird. Um energieneutral wirtschaften zu können, setzen wir auf einen symbiotischen Energie- und Nährstoffkreislauf.“ Die Westhof Energie GmbH & Co. KG produziert neben Solarenergie auch Energie aus der eigenen Biogas-Anlage und dem Blockheizkraftwerk. In der Biogas-Anlage werden nur Gemüsereste aus der Fruchtfolge und Gras aus den Pflegeschnitten der Blühwiesen- und Kleegrasflächen vergoren. Die Gärreste aus der Anlage kommen als organischer Dünger wiederum den Pflanzen zugute.

Der Jäteroboter für die millimetergenaue Vernichtung von Unkräutern bei Nutzpflanzen. Der Jäteroboter für die millimetergenaue Vernichtung von Unkräutern bei Nutzpflanzen.

Auf dem Feld übernehmen Roboter die Handarbeit

Für die Unkrautbekämpfung auf den Feldern setzt der Westhof auf Robotik. „Schon 2008 war ich auf der Suche nach einer Möglichkeit für eine nachhaltige, chemiefreie und automatisierte Unkrautregulierung und habe die Fachhochschule Westküste kontaktiert“, erzählt Rainer Carstens. 2013 wurde daraufhin das Forschungsprojekt „Hochgenaue Unkrauterkennung im Bio-Anbau“ ins Leben gerufen. In den folgenden Jahren wurde der Jäteroboter (ein 8 Spur-Roboter) entwickelt und implementiert. Mit einem System aus Künstlicher Intelligenz, Robotik und Big Data wird damit eine millimetergenaue Vernichtung von Unkräutern bei Nutzpflanzen erreicht. Ein Nachbau des menschlichen Gehirns (Deep Learning / Maschinelles Lernen) wurde darauf trainiert, Nutzpflanzen (z. B. Karotten, Rote Bete, Spinat) von Unkräutern zu unterscheiden. Durch das Training der KI mit großen Datenmengen erreicht das System eine hohe Genauigkeit von ca. 98 % unter stetig wechselnden Wetter- und Umwelteinflüssen.

Ende 2018 haben Rainer Carstens und Paul-Heinrich Dörscher die Naiture GmbH ausgegründet. „Unser Ziel ist es, unsere Systeme soweit zu optimieren, dass selbst die konventionelle Landwirtschaft davon profitiert“, fasst Rainer Carstens zusammen. Trotz KI und Robotik ist sich der Landwirt aber sicher, dass Technik niemals den Menschen ersetzen kann: „Die jahrzehntelangen Erfahrungen, die der Landwirt hat, die über Generationen weitergegeben wurden, das wird die Technik niemals übernehmen können. Technische Lösungen sind aber wichtige Hilfestellungen, die uns bei diversen Herausforderungen unterstützen und Betriebsabläufe optimieren.“

Quellen:

[1] Niggli, U. (2021, 19. Oktober). Landwirtschaft und Ernährung zwischen Hightech und Tradition, Vortrag für die Naturwissenschaftliche Gesellschaft Winterthur. www.ngw.ch/vortraege-archiv/211029_niggli

[2] Statistisches Bundesamt. (2022, 2. November). Betriebsgrößenstruktur landwirtschaftlicher Betriebe nach Bundesländern. DESTATIS. www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/Landwirtschaftliche-Betriebe/Tabellen/betriebsgroessenstruktur-landwirtschaftliche-betriebe.html

Autor

Anna Frede

Anna Frede

Junior PR-Beraterin | modem conclusa gmbh